Konservative Behandlung und Rehabilitation von Muskelverletzungen
Nachdem wir in der letzten Ausgabe der sportärztezeitung einen interessanten Einblick in die Behandlung von Muskelverletzungen aus Sicht von Teamärzten der Fußball-Bundesliga erhalten haben und diese Umfrage auf ein großes Echo gestoßen ist, wollten wir im Rahmen unseres Basketball-Blocks auch dieses Thema behandeln. In diesem Zusammenhang freuen wir uns, dass Oliver Pütz, Mannschaftsarzt der deutschen Basketball Nationalmannschaft, und Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Först, Mannschaftsarzt Brose Bamberg, sich bereit erklärt haben, ihre Behandlungsoptionen bei Muskelverletzungen Typ IIIb vorzustellen.
Sie stellen bei einem Spieler eine III° Verletzung des Hamstrings (Standbein), also eine Muskelbündelverletzung am proximalen muskulotendinösen Übergang fest.
Wie ist Ihre Behandlungsstrategie und an welchen Kriterien orientieren Sie sich, dass der Spieler wieder trainings und wettkampftauglich ist?
Was (und wie) davon setzen Sie davon später auch in der anschließenden präventiven Therapie neben spezi?schem Training mit ihrem Therapeuten und Trainerteam ein?
Typ IIIb Verletzung werden von uns grundsätzlich konservativ behandelt. Die Ausfallzeit wird zunächst mit 6 Wochen beziffert und dient allen Beteiligten als erste Orientierung. Primärversorgung durch Kompressionsbandage mit sogenannten „Hot ice“ und Lagerung der verletzten Extremität in entspannter Position. Zeitnah abschwellende Maßnahmen wie z. B. detonisierende manuelle Therapie, Lymphdrainage, Lymphtape und medikamentöse Unterstützung wie z. B. Enzyme (Zink/Mg/Bromelain). Auf NSAR wird unsererseits verzichtet. Abhängig der Beschwerdesymptomatik Entlastung bzw. Teilbelastung an Unterarmgehstützen und Lagerung des verletzten Muskels in entspannter Position. Einer sonografischen Untersuchung folgt immer eine MRT des fraglich verletzten Muskels und eine Einteilung der Verletzung im Rahmen der Klassifikation nach Müller Wohlfarth et al. anhand derer die weitere Behandlungs und Ausfallsdauer grob eingeschätzt werden kann, abhängig von individuellen Begebenheiten. Hier scheint mir ein starres Behandlungsregime nicht sinnvoll. Je nach betroffener Muskulatur, Kollateralschäden und Trainingszustand können hier kürzere oder auch längere Behandlungszeiten entstehen.
Bei vorliegendem Hämatom sollte je nach Größe eine Punktion des selbigen erfolgen. Hierbei kann sofort mit der sonografisch gesteuerten Injektionsbehandlung mit PRP/ACP begonnen werden. Es werden je nach klinischen und sonografischen Verlauf 3–5 Injektionen appliziert in 3tägigen Abständen. Jeweils distal und proximal der Läsion erfolgt bei dementsprechender Tonuserhöhung der Muskulatur eine detonisierende Injektionstherapie mit Lokalanästhetika und Traumeel. Die Problematik in der ACP Therapie besteht in der erheblichen Analgesie. Dadurch kann der Schmerz als Warnhinweis im Rahmen der klinischen Untersuchung bzw. der Überprüfung der subjektiven Schmerzempfindung während der Rehabilitation erheblich reduziert sein oder gar fehlen, was zu einer zu frühen Belastung im Rahmen der Rehabilitation führen kann. Dies sollte bei der Therapie berücksichtigt werden.
Zu weiterführenden Diagnostik gehört nicht nur die Erfassung der muskulären Verletzung, sondern ebenso die Detektion funktioneller und statischer Dysfunktionen und Dysbalancen. Aufgrund des fehlenden Traumas muss eine explizite Untersuchung des Achsenskeletts erfolgen. Insbesondere Fehlhaltungen oder Fehlfunktionen des Beckens und der Wirbelsäule sowie neuroregulative Dysfunktionen des lumbalen Plexus können ursächlich für eine nichttraumatische Muskelverletzung sein. Leider lässt uns hier die Literatur im Stich. Es gibt keine Studien, die eine funktionelle oder anatomische Beinlängendifferenz oder eine statische Fehlstellung des Beckens (Ilium ventrale/posterior etc) als Ursache für eine Muskelverletzung heranführen. Nichtsdestotrotz scheint hier aus empirischer Sicht eine sorgfältige Begutachtung des Muskeltonus sowie der Statik von Wirbelsäule und Becken zwingend notwendig. Auffallend häufig zeigen sich bei rezidivierenden Muskelverletzungen funktionelle Fehlstellungen im Bereich der Wirbelsäule, die klinisch stumm waren und auch sind. Hier seien neben Bandscheibenvorfällen, intraforaminalen Stenosen vor allem die Spondylolisthesis bzw. Spondylolyse genannt, die häufig zu einer Hyperlordose der LWS und Vorneigung des Beckens führen und sekundär zu einer lumbosakralen Instabilität. Bei bestehendem Verdacht, Durchführung einer MRT der LWS und RöntgenAufnahmen des Beckens mit Funktionsaufnahmen der LWS. Je nach spinaler Dysfunktion setzen hier diverse Injektionstherapien an, wie z. B. detonisierende Injektionen der paravertebralen Muskulatur, perikapsuläre, periligamentäre oder je nach Notwendigkeit intrartikuläre Injektionen (SIG). Häufig beziehen wir noch die radiale ESWT zur Behandlung der thorakolumbalen Faszie sowie diverser muskulärer Triggerpunkte mit ein. In den regelmäßigen Kontrollen der Wirbelsäule und des Beckens scheint auch ein guter Ansatz der Prävention von Muskelverletzungen zu liegen. Auch hier fehlt es (noch) an Evidenz. Durch eine ausführliche Untersuchung des Achsenskeletts in Absprache mit unseren Physiotherapeuten und Osteopathen, insbesondere vor und während der Saison, kann gegebenenfalls bei auftretenden Beschwerden der Muskulatur (z. B. Tonuserhöhung) und der Sehnen zeitnah präventiv eingegriffen werden, um Muskelverletzungen vorzubeugen.
Bezüglich der Belastung erfolgt für zunächst 5–7 Tage eine Sportkarenz. Hier liegt der Fokus erst auf oben genannten Injektionstherapien und begleitender physiotheraopeutischer bzw. osteopathischer Behandlung (Lymphdrainage, Kinesiotape, Behandlung vertebragener Störfelder mit myofaszialer Techniken, ESWT). Der verletzte Muskel wird in dieser Zeit nicht direkt behandelt, um mechanische Reize zu vermindern (Gefahr der Myositis ossificans). Je nach Ansprechbarkeit der Muskulatur erfolgt die Behandlung agonistischer/anatagonistischer Dysbalancen ab der 2. Woche mit eigenem Körpergewicht und passiven manuellen Dehntechniken der Agonisten/Antagonisten im schmerzfreien Bereich. Ab der 3. Woche Ergometer, Aquajogging gegebenenfalls Alter G. Je nach klinischem und funktionellem Befund erscheint hier der frühestmögliche Zeitpunkt einer Laufbelastung. Großer Wert wird vor allem auf die neuromuskuläre Ansteuerung gelegt. Zumeist starten wir die Laufbelastung in der 4. Woche im Sinne einer Funktionswiederherstellung des betroffenen Muskels durch Belastung mit vollem Körpergewicht (Koordination, Balance, Lauf ABC). In den Wochen 5–6 sportartspezifische Training und Steigerung der Belastung in Abhängigkeit der subjektiven und objektiven Parameter bzw. der klinischen Symptomatik. Es gibt bezüglich der Belastungssteigerung kein starres Behandlungsregime. Das vorgegebene Konzept dient vielmehr der Orientierung aller Beteiligten. Natürlich kann es je nach Befund zu einer früheren oder auch späteren Belastungssteigerung kommen. Es erfolgt ein enger Austausch zwischen Arzt, Physiotherapeuten, Athletiktrainer und den verantwortlichen Trainern. Sämtliche Belastungsphasen werden begleitet von wöchentlichen sonografischen Kontrollen zur Verlaufskontrollen sowie ärztlicher und physiotherapeutischer klinischer Kontrolle wie z. B. Überprüfung des Muskeltonus sowie gegebenenfalls zuvor detektierter Dysbalancen oder statischen Fehlstellungen.
Subjektivierbare Parameter mittels apparative Diagnostik werden durch das EMG bzw. das EMG BiofeedbackTraining sowie durch isokinetische Tests erhoben. Die Problematik isokinetischer Tests zeigt sich im wenig funktionellen bzw. sportspezifischen Versuchsablauf, sollten aber in jedem Fall angewandt werden. Statische Probleme der Wirbelsäule und des Beckens werden durch eine lichtoptische 4D Wirbelsäulenvermessung verifiziert und werden ebenso im weiteren Verlauf zu Kontrolle herangezogen. Eine bildgebende Kontrolle der Muskelverletzung mittels MRT erscheint nicht zwingend notwendig, da die Untersuchung keinerlei Hinweis auf die Qualität der Muskulatur bieten kann bzw. auf seine funktionelle Belastbarkeit. Sonografische Kontrollen erscheinen hier ausreichend. Die Zeit während der Rehabilitation wird natürlich auch genutzt, um auch den jeweiligen Lebenswandel zu überprüfen. Nicht selten zeigt sich hier, insbesondere was das Schlafverhalten/Regeneration und Ernährung angeht, erhebliches Präventionspotenzial. Ebenso wird ein Augenmerk auf die persönliche Stressoren gelegt. Sei es aufgrund der privaten oder sportlichen Situation.
DBB-Teamarzt Oliver Pütz, sportärztezeitung 02/2018, Foto: ©www.pixathlon.de