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Orthopädie am Gürzenich
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Konservative Behandlung und Rehabilitation von Muskelverletzungen

DBB-Teamarzt Oliver Pütz erklärt in der sportärztezeitung 02/2018 seine Behandlungsoptionen bei Muskelverletzungen im Basketball.

Nachdem wir in der letzten Ausgabe der sportärztezeitung einen interessanten Einblick in die Behandlung von Muskelverletzungen aus Sicht von Teamärzten der Fußball-Bundesliga erhalten haben und diese Umfrage auf ein großes Echo gestoßen ist, wollten wir im Rahmen unseres Basketball-Blocks auch dieses Thema behandeln. In diesem Zusammenhang freuen wir uns, dass Oliver Pütz, Mannschaftsarzt der deutschen Basketball Nationalmannschaft, und Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Först, Mannschaftsarzt Brose Bamberg, sich bereit erklärt haben, ihre Behandlungsoptionen bei Muskelverletzungen Typ IIIb vorzustellen.

Sie stellen bei einem Spieler eine III° Verletzung des Hamstrings (Standbein), also eine  Muskelbündelverletzung am proximalen muskulotendinösen Übergang fest.
Wie ist Ihre Behandlungsstrategie und an welchen Kriterien orientieren Sie sich, dass der Spieler wieder trainings  und wettkampftauglich ist?
Was (und wie) davon setzen Sie davon später auch in der anschließenden präventiven Therapie neben spezi?schem Training mit ihrem Therapeuten und Trainerteam ein?


Typ IIIb Verletzung werden von uns grund­sätzlich konservativ behandelt. Die Ausfallzeit wird zunächst mit 6 Wochen beziffert und dient allen Beteiligten als erste Orientierung. Primärversorgung durch Kompressionsban­dage mit sogenannten „Hot ice“ und Lagerung der verletzten Extremität in entspannter Posi­tion. Zeitnah abschwellende Maßnahmen wie z. B. detonisierende manuelle Therapie, Lymph­drainage, Lymphtape und medikamentöse Un­terstützung wie z. B. Enzyme (Zink/Mg/Brome­lain). Auf NSAR wird unsererseits  verzichtet. Abhängig der Beschwerdesymptomatik Ent­lastung bzw. Teilbelastung an Unterarmgeh­stützen und Lagerung des verletzten Muskels in entspannter Position. Einer sonografischen Untersuchung folgt immer eine MRT des frag­lich verletzten Muskels und eine Einteilung der Verletzung im Rahmen der Klassifikation nach Müller­ Wohlfarth et al. anhand derer die wei­tere Behandlungs­ und Ausfallsdauer grob ein­geschätzt werden kann, abhängig von indivi­duellen Begebenheiten. Hier scheint mir ein starres Behandlungsregime nicht sinnvoll. Je nach betroffener Muskulatur, Kollateralschäden und Trainingszustand können hier kürzere oder auch längere Behandlungszeiten entste­hen.

Bei vorliegendem Hämatom sollte je nach Größe eine Punktion des selbigen erfolgen. Hierbei kann sofort mit der sonografisch ge­steuerten Injektionsbehandlung mit PRP/ACP begonnen werden. Es werden je nach klini­schen und sonografischen Verlauf 3–5 Injek­tionen appliziert in 3­tägigen Abständen. Je­weils distal und proximal der Läsion erfolgt bei dementsprechender Tonuserhöhung der Muskulatur eine detonisierende Injektionsthe­rapie mit Lokalanästhetika und Traumeel. Die Problematik in der ACP Therapie besteht in der erheblichen Analgesie. Dadurch kann der Schmerz als Warnhinweis im Rahmen der kli­nischen Untersuchung bzw. der Überprüfung der subjektiven Schmerzempfindung während der Rehabilitation erheblich reduziert sein oder gar fehlen, was zu einer zu frühen Belastung im Rahmen der Rehabilitation führen kann. Dies sollte bei der Therapie berücksichtigt werden.  

Zu weiterführenden Diagnostik gehört nicht nur die Erfassung der muskulären Verletzung, sondern ebenso die Detektion funktioneller und statischer Dysfunktionen und Dysbalan­cen. Aufgrund des fehlenden Traumas muss eine explizite Untersuchung des Achsenskeletts erfolgen. Insbesondere Fehlhaltungen oder Fehlfunktionen des Beckens und der Wirbel­säule sowie neuroregulative Dysfunktionen des lumbalen Plexus können ursächlich für eine nichttraumatische Muskelverletzung sein. Lei­der lässt uns hier die Literatur im Stich. Es gibt keine Studien, die eine funktionelle oder ana­tomische Beinlängendifferenz oder eine stati­sche Fehlstellung des Beckens (Ilium ventrale/posterior etc) als Ursache für eine Muskelver­letzung heranführen. Nichtsdestotrotz scheint hier aus empirischer Sicht eine sorgfältige Be­gutachtung des Muskeltonus sowie der Statik von Wirbelsäule und Becken zwingend not­wendig. Auffallend häufig zeigen sich bei rezi­divierenden Muskelverletzungen funktionelle Fehlstellungen im Bereich der Wirbelsäule, die klinisch stumm waren und auch sind. Hier seien neben Bandscheibenvorfällen, intraforamina­len Stenosen vor allem die Spondylolisthesis bzw. Spondylolyse genannt, die häufig zu einer Hyperlordose der LWS und Vorneigung des Beckens führen und sekundär zu einer lumbo­sakralen Instabilität. Bei bestehendem Verdacht, Durchführung einer MRT der LWS und Rönt­gen­Aufnahmen des Beckens mit Funktions­aufnahmen der LWS. Je nach spinaler Dys­funktion setzen hier diverse Injektionstherapien an, wie z. B. detonisierende Injektionen der paravertebralen Muskulatur, perikapsuläre, pe­riligamentäre oder je nach Notwendigkeit in­trartikuläre Injektionen (SIG). Häufig bezie­hen wir noch die radiale ESWT zur Behand­lung der thorakolumbalen Faszie  sowie diver­ser muskulärer Triggerpunkte mit ein. In den regelmäßigen Kontrollen der Wirbelsäule und des Beckens scheint  auch ein guter Ansatz der Prävention von Muskelverletzungen zu liegen. Auch hier fehlt es (noch) an Evidenz. Durch eine ausführliche Untersuchung des Achsen­skeletts in Absprache mit unseren Physiothera­peuten und Osteopathen, insbesondere vor und während der Saison, kann gegebenenfalls bei auftretenden Beschwerden der Muskulatur (z. B. Tonuserhöhung) und der Sehnen zeitnah präventiv eingegriffen werden, um Muskelver­letzungen vorzubeugen.

Bezüglich der Belastung erfolgt für zunächst 5–7 Tage eine Sportkarenz. Hier liegt der Fo­kus erst auf oben genannten Injektionstherapien und begleitender physiotheraopeutischer bzw. osteopathischer Behandlung (Lymphdrainage, Kinesiotape, Behandlung vertebragener Stör­felder mit myofaszialer Techniken, ESWT). Der verletzte Muskel wird in dieser Zeit nicht direkt behandelt, um mechanische Reize zu vermindern (Gefahr der Myositis ossificans). Je nach Ansprechbarkeit der Muskulatur er­folgt die Behandlung agonistischer/anatago­nistischer Dysbalancen ab der 2. Woche mit eigenem Körpergewicht und passiven manuel­len Dehntechniken der Agonisten/Antagonis­ten im schmerzfreien Bereich. Ab der 3. Wo­che Ergometer, Aquajogging gegebenenfalls Alter G. Je nach klinischem und funktionellem Befund erscheint hier der frühestmögliche Zeitpunkt einer Laufbelastung. Großer Wert wird vor allem auf die neuromuskuläre An­steuerung gelegt. Zumeist starten wir die Lauf­belastung in der 4. Woche im Sinne einer Funktionswiederherstellung  des betroffenen Muskels durch Belastung mit vollem Körper­gewicht (Koordination, Balance, Lauf­ ABC). In den Wochen 5–6 sportartspezifische Trai­ning und Steigerung der Belastung in Abhän­gigkeit der subjektiven und objektiven Para­meter bzw. der klinischen Symptomatik. Es gibt bezüglich der Belastungssteigerung kein starres Behandlungsregime. Das vorgegebene Konzept dient vielmehr der Orientierung aller Beteiligten. Natürlich kann es je nach  Befund zu einer früheren oder auch späteren Belas­tungssteigerung kommen. Es erfolgt ein enger Austausch zwischen Arzt, Physiotherapeuten, Athletiktrainer und den verantwortlichen Trai­nern. Sämtliche Belastungsphasen werden be­gleitet von wöchentlichen sonografischen Kon­trollen zur Verlaufskontrollen sowie ärztlicher und physiotherapeutischer klinischer Kontrolle wie z. B. Überprüfung des Muskeltonus sowie gegebenenfalls zuvor detektierter Dysbalancen oder statischen Fehlstellungen.

Subjektivierbare Parameter mittels apparative Diagnostik werden durch das EMG bzw. das EMG­ Biofeedback­Training sowie durch iso­kinetische Tests erhoben. Die Problematik iso­kinetischer Tests zeigt sich im wenig funktio­nellen bzw. sportspezifischen  Versuchsablauf, sollten aber in jedem Fall angewandt werden. Statische Probleme der Wirbelsäule und des Beckens werden durch eine lichtoptische 4­D­ Wirbelsäulenvermessung verifiziert und wer­den ebenso im weiteren Verlauf  zu Kontrolle herangezogen. Eine bildgebende Kontrolle der Muskelverletzung mittels MRT erscheint nicht zwingend notwendig, da die Untersuchung keinerlei Hinweis auf die Qualität der Mus­kulatur bieten kann bzw. auf seine funktionelle Belastbarkeit. Sonografische Kontrollen erschei­nen hier ausreichend. Die Zeit während der Rehabilitation wird natürlich auch genutzt, um auch den jeweiligen Lebenswandel zu überprüfen. Nicht selten zeigt sich hier, insbe­sondere was das Schlafverhalten/Regeneration und Ernährung angeht, erhebliches Präventions­potenzial. Ebenso wird ein Augenmerk auf die persönliche Stressoren gelegt. Sei es aufgrund der privaten oder sportlichen Situation.

DBB-Teamarzt Oliver Pütz, sportärztezeitung 02/2018, Foto: ©www.pixathlon.de

 
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